9569 Kilometer in 19 Stunden
Die zweistrahlige Boeing 767 wartet geduldig auf dem Klotener Rollfeld, bevor unser Kapitän endlich das Zeichen vom Tower erhält. «Cleared for take off.», wir sind startklar.
Die Maschine setzt sich langsam in Bewegung und gewinnt mit jedem zurückgelegten Meter an Geschwindigkeit. Das schier Unmögliche passiert, Ikarus grosser Traum, die 200 Tonnen erheben sich in die Luft.
Nach ruhigen, zwischenfallslosen neun Stunden landen wir auf dem John F. Kennedy Airport in New York, benannt nach dem 35. Präsidenten der USA. Den Atlantischen Ozean habe ich nun bereits hinter mir gelassen, doch habe ich erst etwas über der Hälfte der 9569 Kilometer langen Strecke vom Rheintal nach Los Angeles zurückgelegt.
Die Reise geht weiter, zweiter Flieger, noch eine Boeing. Mein Blick schweift über die unendlich weite Landschaft aus schneeweissen Wolken. Der einzige Fremdkörper ist der Flügel und das Triebwerk. Und ich.
In den folgenden sechs Stunden nicke ich immer wieder ein. In schlaftrunkenen Momenten male ich mir dir kommenden vier Wochen in Los Angeles aus. Wird es wieder wie 2010 im Sprachaufenthalt?Lächerlich, es gibt dieses Jahr keinen Sprachaufenthalt mehr – der Englischen Sprache bin ich längst mächtig, Unwissenheit ist kein Vorwand mehr.
Die pure Reiselust treibt mich zurück in diese Gegend der Welt, an die Westküste Kaliforniens. Vor fünf Jahren durfte ich einen erlebnisreichen Sommer hier verbringen und verblüffende Menschen kennen lernen. Zu einigen von ihnen geht es nun zurück.
Nach einem nicht enden wollenden Sinkflug über der Metropolregion von L.A. landet unsere Boeing. Etwas über 200 Passagiere und die Crew sind erleichtert über die Landung – kein Wunder, denn es ist fünf vor Zwölf – Mitternacht in der Stadt der Engel.
Eloy Martinez, Los Angeles, Kalifornien
Diese Kolumne erscheint jeden Freitag in gedruckter Form in der Zeitung „Der Rheintaler“.